Wie man „Angststellen“ beim Musizieren bewältigt oder wie man mit der „Damenhaltung“ „Herr der Lage“ bleibt

Welcher Musiker, welcher Instrumentalist kennt sie nicht, die berühmt-berüchtigten Angstsituationen beim Spielen vor Publikum? Dabei handelt es sich in vielen Fällen mitnichten um unerwartete, unkontrollierbare oder völlig unvorhersehbare Momente, sondern vielmehr um „Angstellen“, also Stellen, an die man schon Zeilen oder sogar Seiten zuvor zu denken beginnt und denen man schließlich nur noch mit Schweiß auf der Stirn und zittrigen Händen entgegenrittern kann. Was aber tun, wenn man die betreffenden Stellen trotz intensiver technischer Vorbereitung fürchtet und sie bereits nach allen Regeln der Kunst geübt und analysiert hat? In diesen Fällen ist es vielleicht nicht weiter zielführend, herauszufinden, was die weiteren spieltechnischen Ursachen des Problems sein könnten. Schneller und sicherer kann möglicherweise ans Ziel gelangen, wer bereits beim Üben neue Regionen im Gehirn aktiviert und damit neue Impulse für die Bewältigung der betreffende Stelle schafft.

Paradoxe Intervention für Cellisten

Neue Perspektiven gewinnen wir, wenn wir die Aufmerksamkeit auf etwas Anderes, etwas Neues lenken. Eine neue Sitzposition, wie zum Beispiel die „Damenhaltung“ (überschlagene Beine) ist ein guter Einstieg. Die Herausforderung besteht darin, das Gleichgewicht zu halten.

Auch das Spielen im Stehen kann hilfreich sein. Man lehne sich im Stehen gegen die Wand. Wem dies noch immer zu wenig anspruchsvoll ist, der darf gerne noch ein wenig in die Knie gehen — die brennenden Oberschenkel tun mit Sicherheit ihr Übriges und man bekommt gar nicht mit, dass die Stelle bereits längst bewältigt ist.

Manchmal hilft es auch, Stellen auswendig zu lernen und die Augen während des Spielens bewusst durch den Raum schweifen zu lassen. Denn obwohl man vielgeübte Stellen zumeist längst auswendig beherrscht, starrt man gerne in die Noten, als ob man sich an diesen festhalten könnte. Ein neuer Blickwinkel stellt nicht nur bildlich gesprochen, sondern manchmal sogar neuro-physiologisch eine neue Perspektive dar, die dazu geeignet ist, alte Muster zu durchbrechen.

Ob Damenhaltung oder Abfahrtshocke — welche Haltung letztlich eingenommen wird, ist nicht so wichtig. Der springende Punkt ist vielmehr, eine Methode des Spielens zu finden, die uns so neu ist, dass wir sprichwörtlich „keinen Kopf mehr haben“, um uns den alten Problemen zu widmen. Diese Methode der paradoxen Intervention beim Celloüben kann helfen, die Kontrolle auch auf der Bühne zu behalten und vor Publikum „Herr der Lage“ zu bleiben.

Veröffentlicht von

Rumi

Rumi unterrichtet seit vielen Jahren bei der Musikwoche Grünbach. Sie arbeitet als Cellopädagogin an der Freien Musikschule Wien sowie als Musiktherapeutin am Landesklinikum Mödling.

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