Lagenspiel und immerwährendes Vibrato. Oder: sollte man leere Saiten beim Geigenspiel tunlichst vermeiden?

Gerüchteweise existieren sie noch, die Apologeten der fröhlichen Beisl- bzw. Kneipengastronomie, die nicht nur Koriander, Kreuzkümmel , Oliven oder Büffelmozarella, sonder gar jegliches unpanierte Gemüse meiden wie der Teufel das Weihwasser. Ganz ähnlichen Reflexen begegnet man gelegentlich auch bei Vertretern der Geigenzunft. So werden beispielsweise gar nicht selten heftige Intoleranzen gegenüber leeren Saiten gehegt, einer ganz und gar nicht geschmacklosen Zutat des Klangspektrums von Streichinstrumenten.

Das Dogma, leere Saiten tunlichst zu vermeiden, lässt sich als nicht mehr ganz zeitgemäße Ansicht innerhalb einer wechselvollen Geschichte verorten, in der sich der Instrumentenbau, Klangvorstellungen, Spieltechniken und damit auch die Präferenzen für Fingersätze ebenso stark wandelten, wie die Musikstile und Kompositionen, in deren Diensten sie standen.

Barock und Romantik

Zur Zeit des Barock wurde der offene Klang von leeren Saiten wohl als Zierde wahrgenommen. Lagenspiel schien vor allem an Passagen zweckmäßig, an denen die Töne von der ersten Lage aus nicht mehr erreicht werden konnten. Das Vibrato wurde vermutlich sparsam verwendet. In Lehrwerken des 17. und 18. Jahrhunderts wird es unter der Rubrik „Verzierungen“, also im gleichen Atemzug wie Vorschlag, Doppelschlag, Pralltriller etc. abgehandelt, was auf einen sehr gezielten Gebrauch hinweist. Mit Sicherheit klangen die leeren Saiten auf den alten Geigen (u.a. häufig eine flachere Halsneigung, kürzere Spielmensur) durch die Verwendung von Darmsaiten vergleichsweise weich.

Im 19. Jahrhundert änderte sich die Geigentechnik grundlegend. Die Konzertsäle wurden geräumiger, die Saiten wurden straffer gespannt und der moderne Geigenbogen, der permanenten Druck auf langen Tönen begünstigt, setzte sich durch. Das häufige Spiel in höheren Lagen hat sich — nicht zuletzt durch den Einfuss des Virtuosentums — längst vom Sonderfall zur geigerischen Kernkompetenz entwickelt. Insbesondere häufige Lagenwechsel — Beriots Volinschule lässt etwa darauf schließen, dass das sogenannte Portamento (ein hörbarer Schleifer) viel wichtiger war als das Vibrato — avancierten zum Ausdrucksmittel.

Das 20. Jahrhundert und die Vermarktung des Brühwürfels

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelangten Geigensaiten mit Stahlkernen auf den Markt. Etwa gleichzeitig kommt nicht nur Maggis Suppenwürfe schwer in Mode, sondern auch das permanente Vibratospiel wird auf der Geige als klangliche Allzweckwaffe entdeckt. Allein aus diesem Grund schien die Verwendung von leeren Saiten als nicht mehr opportun und wurde nur noch dort akzeptiert, wo sich technisch so gut wie keine sinnvollen Alternativen anboten.

Zeitgemäße Persepektiven

Bis heute haben sich die klanglichen Anschauungen eindeutig geändert, was nicht zuletzt der historisch informierten Aufführungspraxis geschuldet ist. Ab den 60er Jahren wurden auf der Suche nach den alten Methoden nicht nur Aspekte des historischen Instrumentenbaus wiederbelebt, sondern auch Spieltechniken und andere musikalische Belange adaptiert. Speziell in Bezug auf die Barockmusik besann man sich auf ein eindeutig schlankeres und transparenteres Klangbild — auf den sparsamen und differenzierten Einsatz des Vibratos, seltenes Lagenspiel und nicht zuletzt auch auf die ungenierte Verwendung von leeren Saiten. In jüngerer Zeit wurde diese vermeintliche oder tatsächliche historische Präzision auch im Hinblick auf andere Epochen populär. So hört man heute nicht selten sogar romantische Werke, etwa Brahms‘ Sonaten, im schlanken Ton auf weichen Darmsaiten, partnerschaftich begeitet auf einem historischen Pianforte. Neben den immerwährenden Aspekte der Griff- und Bogentechnik, der Phrasengestaltung und dem Klang, geht der Trend seit einigen Jahrzehnten eindeutig dahin, Entscheidungen bezüglich der Frage, ob Lagenspiel oder leere Saite, ob sattes Vibrato oder schlanker Ton, stärker im Hinblick auf die Epoche des Musikstückes zu treffen.

Wer übrigens das Gefühl hat, leere Saiten klingen scharf (bei langen Tönen auf der E-Saite wird dies meistens der Fall und kaum zu verhindern sein), dem könnte ein anderes Setup des Instruments helfen. Möglichkeiten sind in erster Linie die Auswahl von weicher klingenden Saiten oder das Einrichten von Steg und Stimmstock durch einen Geigenbauer. Bei meiner Geige hat der Geigenbauer übrigens ein Stück Pergament unter die A-Saite auf den Steg geklebt, seitdem klingt die leere Saite attraktiver.

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Heinz

Heinz hat Violine und Viola in Wien studiert und ist als Geigen-, Bratschen- und Kammermusiklehrer tätig. Seine besondere Liebe gilt der Kammermusik, Franz Schubert und philologisch hervorragenden Notenausgaben. Nach mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland (Heidelberg und Bamberg) lebt Heinz ab Herbst 2022 wieder in seiner Heimatstadt Wien.

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