Bratschenschlüssel in 5 Stunden lernen

Es gibt unzählige Bratschisten-Witze — und die größten Experten in diesem Metier sind naturgemäß die Bratschisten selbst. Es tut der ganzen Sache auch sicherlich keinen Abbruch, dass so mancher Witz ziemlich an den Realitäten des Musiker-Marktes vorbeigeht. „Berühmtes Streichquartett sucht ersten Geiger, zweiten Geiger und Cellisten, Chiffre…“ — diese Zote mag dem einen oder anderen hoffnungsvollen Prim-Geiger, der sich ein Ensemble aufbauen will, im Halse stecken, sobald er sich auf die Suche nach geeigneten und willigen Bratschern begeben muss, die ja bekanntlich eine vergleichsweise seltene Spezies darstellen (auch auf unserer Musikwoche in Grünbach oder unserer Musikwoche in Benediktbeuern kann man sich regelmäßig davon überzeugen).

So ist es seit Jahrhunderten allerbeste Tradition, dass auch Geiger in Ermangelung besserer Alternativen selbst Hand anlegen — und notgedrungen den Bratschenschlüssel lernen müssen.

Grundlegende Orientierung

Der Bratschen- oder Altschlüssel ist ein sogenannter C-Schlüssel (im Unterschied zum Violinschlüssel, in dessen geschwungener Form sich mit wenig Fantasie noch die Form des angezeigten „G“ entdecken lässt), d.h er definiert das c‘ als Referenz:

Bratschenschlüssel_c1

Üblicherweise wird der Tonumfang c-g“ im Bratschenschlüssel notiert. Die Fingersätze unterscheiden sich auf der Bratsche — mit wenigen Ausnahmen, was Streckungen der Hand oder klangliche Aspekte betrifft — physiologisch nicht von jenen auf der Geige:

Bratschenschlüssel_Griffe

Der Tonumfang ab g“ wird auf der Bratsche in der Regel im Violinschlüssel notiert, da ansonsten bereits ab der dritten Lage auf der A-Saite das Lesen aufgrund der vielen Hilfslinen erschwert würde.

Notfallprogramm

Wenn es ganz schnell gehen muss und unvorhergesehen Not an Violisten besteht, gibt es zwei kleine Eselsbrücken, die den Quereinsteiger zumindest vor den größten Peinlichkeiten bewahren:

1. Für den Bratschenschlüssel: Eine Terz unter dem von der Geige gewohnten Notenbild greifen bzw. dritte Lage lesen — erste Lage greifen.

2. Für den Violinschlüssel: Eine Saitenebene höher spielen

In wenigen Stunden

Zielführender und nachhaltiger ist es aber, sich von solchen Notfallprogrammen zu lösen und zumindest einige wenige Stunden in das Lesen und Lernen des Bratschenschlüssels zu investieren. Mit folgender Methode, die das spezifische Leseproblem aufs wesentlichste reduziert, habe ich beim Bratschenunterricht zahlreichen fortgeschrittenen Geigern den Braschenschlüssel in kürzester Zeit erfolgreich beigebracht:

1. Bogen aus der Hand legen: Alles wird Pizzicato gespielt
2. Korrektes Metrum, Rhythmus und Intonation sind Nebensache
3. Man versucht von vornherein so gut wie keine falschen Tönhöhen/Griffe zu produzieren und nimmt sich für jede Note im Bratschenschlüssel soviel Zeit wie nötig
4. Jede Notenzeile wird höchsten einmal wiederholt (wir üben Notenlesen und nicht Auswendigspielen)

Sinnvoll ist es, sich Passagen zu suchen, die in der ersten Lage zu bewältigen sind, etwa diese:

Bratschenschlüssel_Griffe

Gerade die großen Tonsprünge sind zu Beginn sicherlich eine kleine Herausforderung — allerdings sind sie dem Lernerfolg weitaus zuträglicher als skalische Strukturen oder Sequenzen. Das Notenbeispiel ist der Anfang der Courante aus der Cellosuite No. 1 von J.S. Bach in der Ausgabe für Viola, die sich (wie auch das Menuett aus dem selben Werk) für den Einstieg in das Lernen des Bratschenschlüssels überaus gut eignet.

Veröffentlicht von

Heinz

Heinz hat Violine und Viola in Wien studiert und ist als Geigen-, Bratschen- und Kammermusiklehrer tätig. Seine besondere Liebe gilt der Kammermusik, Franz Schubert und philologisch hervorragenden Notenausgaben. Nach mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland (Heidelberg und Bamberg) lebt Heinz ab Herbst 2022 wieder in seiner Heimatstadt Wien.

10 Gedanken zu „Bratschenschlüssel in 5 Stunden lernen“

  1. Hi, Heinz! I do understand German only little but this did help me with the viola clef. I appreciate the Idea of starting off with pizzicato.
    José

  2. Hallo Heinz,
    ich verstehe nicht so recht die Notwendigkeit eines C-Schlüssels – außer man hasst Bratschisten. Ginge nicht auch der Bassschlüssel? Damit kann man auch sofort alle Noten des Cellisten klauen, und das vermutlich ein wenig seltener gespielte C läge auf der zweiten Hilfslinie und ist immer noch problemlos zu lesen, während nach oben ein Ton mehr Platz auf den Hilfslinien ist. Warum der Altschlüssel? Selbst der Violinschlüssel hätte da den Kohl doch nicht mehr fett gemacht.

    Total verwirrt,
    Merle

    1. Hi Merle,

      Bratschisten lernen ja auch den Violinschlüssel, weil der ebenfalls in der Bratschenliteratur verwendet wird. Hohe Passagen werden einfach im Violinschlüssel notiert und somit werden Bratscher mit weniger Hilfslinien gequält als die Geiger. Eher ist es andersherum, dass Geiger den Bratschenschlüssel nicht kennen, weil er für sie mangels entsprechend tiefer Töne wertlos ist.

      Einen nach oben oktavierten Bass-Schlüssel hätte man natürlich für die Bratsche nehmen können. Oder einen nach unten ‚quintierten‘ Violinschlüssel.

      Da aber Violine, Viola und Cello eine gemeinsame Instrumentengruppe bilden, die ja üblicherweise zusammen spielen, sollte man am Besten die drei Schlüssel nicht als drei grundverschiendene Dinge ansehen, sondern als Teil eines einzigen Systems.

      Nimm z.B. mal eine leeres Notenblatt für Klaviernoten und schneide die Basschlüssel-Zeile aus. Dann klebe den Bassschlüssel so unter den Violinschlüssel, dass sich die c‘-Hilflinie von Violin und Bassschlüssel genau überdecken. Nun zeichne zwischen Violinschlüssel und Bassschlüssel entlang der c‘ eine Notenlinie ein. Und dann kannst Du den Bratschenschlüssel einfach einzeichen: Das C ist die neu gezeichnete Notenlinie und die ‚Klammer‘ des Bratschenschlüssels beginnt auf der g‘-Linie des Violinschlüssels und endet auf der f-Linie des Bassschlüssels.
      Wenn man den Dreh heraus hat, dann ist kein Schlüssel mehr verwirrend. Auch Tenor- oder Mezzosopranschlüssel sind dann eine Leichtigkeit.

      Weil es ja nicht so viel Solo-Bratschen-Literatur gibt, spiele ich zuhause auch oft Cello-Noten im Bassschlüssel einfach eine Oktave höher. Das geht spieltechnisch problemlos.
      Verwendet man Geigennoten, dann kann man sogar in ganz vielen Fällen einfach den Violinschlüssel ignorieren und einfach greifen wie im Bratschenschlüssel gelesen – Jedenfalls sofern keine Note tiefer als das h ist und man spieltechnisch keine Fingerspaghetti bekommt.
      Andernfalls spielt man halt im Violinschlüssel, den ja auch jeder Bratscher kann. Hier hat man höchstens Probleme, dass einige Geigenliteratur so hoch hinausgeht, viele Bratscher schnell in ungewohnten Lagen spielen müssen.

      1. Vielen Dank für die Antwort! Ich bekam mittlerweile auch häufiger zu hören, dass die wenigen Hilfslinien (1) nach unten helfen die Orchesterliteratur eng beieinander zu halten.

        Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden und spiele seit Januar sehr gerne Viola, auf welche ich vom Cello wechsle.

        Liebste Grüße,
        Merle

  3. Warum wird der Bratschenschlüssel eine kleine Septe höher notiert, aber dann ist es bei c un f plötzlich eine große Septe? Das ist bei anderen Instrumenten (z.B. Saxophon) nicht so und mir raubt es als Geigerin den Verstand.
    Danke für alle wirklich vernünftigen Erklärungen. (Dass es sich um C-Dur handelt würde mir zB nicht weiterhelfen)

    1. Vielen Dank für die Frage! Tatsächlich ist das eine Frage, die gar nicht so selten von Geigern, die gerade erstmalig auf die Bratsche (ganz gleich, ob gelegentlich oder dauerhaft) umsteigen, gestellt wird. Die Antwort ist, denke ich, recht einfach:
      Erstens orientieren sich die Notenschlüssel am Tonumfang der Instrumente bzw. den häufig genutzten Tonlagen. Ziel ist es dabei, mit möglichst wenigen Hilfslinien in Notenbild auszukommen. Nur in höheren Lagen wird ein Wechsel des Notenschlüssels (vom Bratschen- zum Violinschlüssel) häufiger nötig. Auch der Bratschenschlüssel erfüllt dabei gut seinen Zweck.
      Zweitens sind Notenschlüssel und Notenbild historisch gewachsen und nicht an einem Zeitpunkt der Geschichte von einer Person konzipiert und durchgesetzt worden. Dass bei einem Notenschlüssel an eine spezifische Gruppe (die Gruppe der Umsteiger von Geige auf Bratsche) gedacht wurde, ist eher auszuschließen.

      Ich habe aber eine sehr gute Nachricht aus meiner langjährigen Unterrichtspraxis: Bereits nach wenigen Übungsstunden spielen diese Fragen kaum noch eine Rolle!

      Herzliche Grüße
      Heinz Neuwirth

    2. Ich bin gerade jetzt erst auf dieses Thema aufmerksam geworden, weil ich zusätzlich zur Amateur-Geige Cello lernen möchte und daher mir den Bassschlüssel aneignen muss. Habe vor vierzig Jahren auch ein bisschen Bratsche gespielt und erinnere mich an die Schwierigkeiten mit dem Schlüssel.

      Ich denke, dass in Birtes Frage ein Denkfehler steckt: im anderen Schlüssel wird ja nicht der Ton transponiert — um eine kleine bzw. große Septim wie in der Frage –, sondern die Notenlinien bekommen eine andere Bedeutung. Ein f ist immer ein f und immer eine kleine Septim zum darunterliegenden g. Bloß halt an anderer Stelle im System. Da die Vorzeichen mitversetzt werden, bleibt die Kennzeichnung großer, kleiner, verminderter etc. Intervalle in allen Schlüsseln wie gewohnt erhalten.

      Wenn ich mich täusche, erklärt es mir bitte.
      Christina

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